Krisengefüge der Künste
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Book of Abstracts

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Donnerstag, 25. April 2024

09.45 Uhr
Verzvilgesellschaftung des Theaters: Veränderung von Institution und Management
Universität Münster, Institut für Politikwissenschaft
Leitung: Prof. Dr. Annette Zimmer
Mitarbeit: Svea Nübel, M.A., Dr. sc. Eckhard Priller

Das öffentliche Theater zeichnet sich durch ein hohes Maß an Resilienz aus. Es erkämpft sich seinen Platz in der Mitte der Gesellschaft zurück: Mit neuen Organisationsformen, offenen Räumen, inklusiven Programmen und dem Selbstverständnis als Vermittlerin in einer bunten Gesellschaft. Doch wie genau reagiert die Institution öffentliches Theater auf die Infragestellung seiner Legitimation? Wie versucht es, in unserer heterogenen Gesellschaft, wirtschaftlich seine Existenz zu sichern, Besucher:innen zurückzugewinnen und seine Governance veränderten Kontextbedingungen anzupassen?

Eine vergleichende Untersuchung in Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz zeigt: Die öffentlichen Theater verändern sich in Richtung Nonprofit-Organisation (NPO). Die Reform der Theater in Österreich erfolgte unter neo-liberalen Vorzeichen. Auch in Deutschland sind die öffentlichen Theater mehrheitlich nicht mehr Teil der öffentlichen Verwaltung. Im Gegensatz hierzu waren die Theater in der Schweiz immer schon zivilgesellschaftlich eingebettet.

Eine Mitarbeiter:innenbefragung an sechs Stadttheatern in Deutschland zeigt: Eine marktförmige Ausrichtung und Planungsunsicherheit bereitet den Theatern in Deutschland z. T. erhebliche Probleme. Analog zu NPOs versuchen sie durch einen Maßnahmen-Mix zunehmende Finanzierungslücken zu schließen. Ein hoher Stellenwert kommt hierbei der Senkung der Fix- und insbesondere Arbeitskosten zu. Die hohe Arbeitszufriedenheit trotz widriger Arbeitsbedingungen ist bei NPOs wie bei Theatern auf das Paradox des „subjektiven Wohlbefindens“ zurückzuführen.

 

11.00 Uhr
Theater nach Corona? Ergebnisse des Corona-Querschnittsprojektes
Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Theaterwissenschaft
Leitung: Prof. Dr. Christopher Balme
Mitarbeit: Dr. Thomas Fabian Eder

Die Corona-Pandemie, als exogener Schock betrachtet, barg das Potenzial, die bestehenden Pfadabhängigkeiten der deutschsprachigen Theaterlandschaft grundlegend zu verändern. Anhand dieser These untersuchte das Corona-Querschnittsprojektes wie sich die institutionelle Rahmung der darstellenden Künste in Bezug auf Arbeits- und Sozialbedingungen, kulturpolitische Mitbestimmung, Digitalisierung und internationale Aspekte während der COVID-19 Pandemie veränderte. Mehrere Befragungszeitpunkte, ergänzt durch retrospektive und prospektive Einschätzungen der Befragten, dokumentieren die Erfahrungen von 77 Künstler:innen und Produzent:innen sowie 40 führenden Vertreter:innen von Theatern und freien Gruppen über den gesamten Pandemiezeitraum hinweg. Die inhaltliche Setzung der Umfrage basiert auf einer qualitativen Inhaltsanalyse von über 400 Medienartikeln in deutschsprachigen Tages- und Fachzeitungen, durch die im Fachdiskurs antizipierte institutionelle Veränderungspotenziale der Pandemie für das Theater synthetisiert wurden. So bilden die Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse die inhaltliche Fokussierung für die quantitative Untersuchung, die im Methodenmix das Feld prägende endogene Dynamiken und exogene Einflussfaktoren analysiert. Im Ergebnis wird deutlich, dass Prozesse des digitalen Wandels, der globalen Vernetzung, der sozialpolitischen Stärkung und der kulturpolitischen Einbindung des Feldes, während Corona eine starke Intensivierung erfahren haben, und doch mit dem Auslaufen des Ausnahmezustandes zu alten Mustern zurückkehren.

 

14.00 Uhr
Narrative im Wandel – aktuelle Transformationsdynamiken in den Theaterprogrammen in Deutschland, England und der Schweiz
Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Theaterwissenschaft
Leitung: Dr. Bianca Michaels
Mitarbeit: Angelika Endres, M.A.

Theater sind aufgrund aktueller gesellschaftlicher und kulturpolitischer Transformationsprozesse einem steigenden Anpassungsdruck ausgesetzt. Neuere Entwicklungen in der Programmgestaltung öffentlich getragener Häuser sind dabei nicht nur pragmatische Reaktionen auf kulturpolitische Anreize, ökonomische Krisen oder pandemie-bedingte Restriktionen, sondern stellen zugleich Bewältigungs- und Legitimationsstrategien dar und weisen auf einen sich vollziehenden Wandel des Stadt- und Staatstheaters als Institution hin. Dabei wirkte insbesondere die Corona-Pandemie mit ihren Theater schließungen, den jeweiligen Regelungen zum Social Distancing wie auch den für die jeweils aktuellen Bedingungen entwickelten Theaterformaten wie ein Katalysator für eine vertiefte Beschäftigung mit dem eigenen Selbstverständnis und der gesellschaftlichen Funktion von Theater. Eine bedeutende Rolle spielen hierbei die von den Theaterschaffenden selbst verwendeten Narrative im Hinblick auf die Programmgestaltung. Als „erzählerische Konstruktionen“ (Koschorke 2013) transportieren Narrative Handlungsschemata und institutionelle Spielregeln. Gerade in krisenhaften Zeiten erleben sie aufgrund ihrer legitimierenden Wirkung Hochkonjunktur und ermöglichen es, Veränderungsprozesse zu beobachten. Dabei treten insbesondere im internationalen Vergleich zwischen Deutschland, England und der Schweiz die Spezifika der jeweiligen Theatersysteme deutlich hervor.

Das Panel stellt die Ergebnisse des Forschungsprojekts „Outside the Box: Ästhetische Neu-Formatierung an öffentlich getragenen Theatern im Anschluss an die pandemiebedingten Schließungen 2020 in Deutschland, Großbritannien und der Schweiz“ vor und zur Diskussion. Aus knapp 4.000 analysierten Formaten und 33 Interviews mit Theaterschaffenden werden Entwicklungslinien der aktuellen Programmgestaltung und sich wandelnde Narrative im jeweiligen Theaterverständnis vorgestellt.

 

15.15 Uhr
Becoming Public! Governance und Audience Development-Strategien für Teilhabe am öffentlichen Theater in Deutschland, Frankreich und England
Universität Hildesheim, Institut für Kulturpolitik
Leitung: Prof. Dr. Birgit Mandel
Mitarbeit: Maria Nesemann, M.A.

Raus aus dem Elfenbeinturm, rein in die Stadtgesellschaft, lautet die Devise an vielen öffentlich getragenen Theatern. Aber: Wer fordert das eigentlich und warum? Wird die Forderung nach der „Öffnung“ des Theaters wirklich umgesetzt und wenn ja, wie?

Das Panel stellt zentrale Ergebnisse des Forschungsprojekts „Chancengerechte Teilhabe am Theater. Theater Governance und Audience Development-Strategien in Deutschland, Frankreich und England“ vor. Auf Grundlage der Beobachtung, dass in den drei untersuchten Ländern Deutschland, Frankreich und England Theaterbesucher:innen im Hinblick auf ihren sozioökonomischen Hintergrund relativ homogen sind und die Nutzung des Theaterangebots tendenziell abnimmt, wird untersucht, welche Strategien Theater jeweils verfolgen, um mehr Teilhabe an ihren Häusern zu schaffen. Dass diese Strategien eng verknüpft sind mit dem jeweiligen Governancesystem, wird im internationalen Vergleich schnell deutlich: Während in England aus finanziellen Gründen und durch kulturpolitische Vorgaben Publikumsinteressen und vermehrt die pro-aktive Förderung der Kreativität in der Bevölkerung im Vordergrund stehen, ist in Frankreich das Zugänglichmachen zur öffentlich geförderten „(Hoch-)Kultur“ gesetzlich verankert und kulturpolitisch gesteuert. Die im internationalen Vergleich bemerkenswert hohe und dauerhafte institutionelle Förderung von Theater- und Opernhäusern in Deutschland ist kaum mit konkreter Steuerung der Publikumsentwicklung verbunden. Vermittlung hat zwar in den öffentlich getragenen deutschen Theatern stark an Bedeutung und Umfang gewonnen. Zugleich sind die Vermittlungsabteilungen in ihren vielfältigen Aktivitäten meist tendenziell entkoppelt vom „Kerngeschäft“ und haben nicht die Autorität, den am bestehenden Programmkanon orientierten Ansatz der Häuser zu verändern. Das Panel diskutiert, inwiefern fest verankerte Glaubenssätze (kulturell-kognitive Institutionen) auch aktuelle Theatergovernance beeinflussen.

 

18.00 Uhr 
Assoziierten-Forum 

Assoziierte Wissenschaftler:innen begleiteten die Arbeit der Forschungsgruppe von Anfang an und standen jeweils mit den Teilprojekten in Austausch, deren Forschungsperspektiven verwandt sind. Im Rahmen des Assoziierten-Forums stellen vier assoziierte Wissenschaftler:innen ihre aktuelle Forschung vor und kommen miteinander, mit der Forschungsgruppe und den Konferenzteilnehmer:innen darüber ins Gespräch. Kontextualisiert und moderiert werden die kurzen Impulsreferate und Dialoge von Angelika Endres und Sebastian Stauss.

 

Data that matter: Theaterstatistische Längsschnittanalysen als Hilfsmittel bei kulturpolitischen Entscheidungsprozessen am Beispiel des Neubauprojektes „Städtische Bühnen Frankfurt“
Hilko Eilts, M.A.
Hochschule Hannover, Studiengang Szenografie, Kostüm, Experimentelle Gestaltung

Durch die deutsche Stadttheaterlandschaft rollt derzeit eine milliardenschwere Sanierungswelle. Viele der in den 1950er und 60er Jahren wieder aufgebauten oder neugebauten Theater sind auch angesichts neuer Brand- sowie Arbeitsschutzregelungen dringend sanierungsbedürftig und teilweise sogar von Zwangsschließungen bedroht. Die in Angriff genommenen Bauplanungen der Theaterträger basieren meist auf den jeweils aktuellen Raumprogrammen und Betriebsdaten der Theater. Am Fallbeispiel der Städtischen Bühnen Frankfurt soll deutlich gemacht werden, dass hausspezifische Langzeitdatenprofile, wie sie sich aus Längsschnittanalysen der Theaterstatistiken des Deutschen Bühnenvereins gewinnen lassen, ein wichtiges, derzeit jedoch völlig unbeachtetes Hilfsmittel für eine nachhaltige, zukunftsfähige Theaterbauplanung darstellen.

 

Evaluation von Enkulturation in der Publikumsforschung
Katja Meroth, M.A.
Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Theaterwissenschaft

Ob man ins Theater geht, ist (erstmal) keine Geschmacksfrage. Wo ist das (junge) Publikum hin? Wieso sinken die Besucherzahlen seit 50 Jahren? Wieso geben immer weniger junge Menschen ein Interesse für Theater an? Eine Antwort auf diese Fragen könnte die Theorie des Enkulturativen Bruchs liefern. Die Enkulturation ist das Erlernen von Kultur und kultureller Praxis in jungen Jahren. Sie prägt ein Leben lang den Habitus, also die Selbstwahrnehmung und das kulturelle Nutzungsverhalten des Einzelnen. Die Theorie des Enkulturativen Bruchs bietet mittels einer Verschränkung von Kultur- und Kunstwissenschaften ein Erklärungsmodell für den Rückgang des Theaterpublikums aufgrund von Veränderungen in der Kunst- und Kulturerziehung. Zum Verständnis von (Nicht-)Publikumsgruppen wird ein neuartiges Modell mit Enkulturationsfokus dargelegt (Vierfeldermodell zur Publikumsanalyse). Hierfür werden die Erkenntnisse aus der Enkulturationsforschung in eine verschränkte Betrachtung von Besuchsverhalten und Enkulturation überführt. Dieses ermöglicht ein grundlegendes Verständnis der Lebensrealität und Bedürfnisse von vier (Nicht-)Publikumsübergruppen.

 

Corporate Governance und Theater. Grundsätzliches und Konkretes
MMag. Thomas Heskia, MBA
Leuphana Universität Lüneburg, Institut für Soziologie und Kulturorganisation

Die Analyse der Führung von Theatern im deutschsprachigen Raum wird traditionell auf die operativen Leitungen, insbesondere auf mächtige Intendanten, fokussiert. Doch es wird klar, dass die Forschung nicht nur das operative Management, sondern auch die übergeordneten Leitungsstrukturen bzw. die Governance im Allgemeinen untersuchen muss. Die Stärke der Intendanten ist nur allzu oft die Schwäche der Aufsichtsgremien, deren Standards und Aufgaben variieren und zu definieren sind. Dabei geht es aber nicht nur um eine wirksame Corporate Governance für Theaterbetriebe, sondern auch um die Fortsetzung von Cultural Governance in die Institutionen hinein. Erstmals wurden im Rahmen dieser Forschung Aufsichtsgremien sämtlicher öffentlicher Theater im deutschen Sprachraum vergleichend erfasst, aber auch mit grundsätzlichen Überlegungen zur Theorie von Governance, zu Macht als Kommunikationsmedium und systemischen Grenzen exogener Steuerung unterlegt.

 

Neue Solidaritäten, alte Kämpfe. Arbeit und Politik im Theaterfeld und der freien Szene
Dr. phil. habil. Alexandra Manske
Soziologin, Berlin

Mein Beitrag beruht auf einer feldsoziologischen, qualitativen Untersuchung über die Interessenvertretung im Kulturbetrieb (Geldgeber: Hans-Böckler-Stiftung, Zeitraum: 2018-2020). Die Studie liefert insbesondere Erkenntnisse über Arbeitsverhältnisse am Theater und der freien Szene, über deren arbeitspolitische Arenen und spezifische Arbeitskonflikte. Die Untersuchungsbefunde zeigen, dass sich im Kulturbetrieb neue Solidaritäten bilden, die sich mit ‚der‘ Solidarität alter Schule nur bedingt erklären lassen. Vielmehr zielt Solidarität im Kulturbetrieb neben der Verbesserung von Arbeitsbedingungen auf eine berufsgruppen-/feldübergreifende Solidarisierung. Im Zentrum der arbeitspolitischen Kämpfe stehen Mindesthonorare, Mitspracherechte oder eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Leben. Ebenso geht es um eine Vernetzung mit arbeitspolitischen Akteur:innen, die nicht unmittelbar der eigenen Berufsgruppe angehören. Um diese Prozesse soziologisch einzufangen, ist es erforderlich die theoretische Linse auf den Solidaritätsbegriff mit kultursoziologischen Mitteln nachzuschärfen und den Fokus stärker auf den Prozess der Interessenverknüpfung zu legen. Insgesamt leistet die Studie einen Beitrag zur Schließung einer Forschungslücke, da bislang kaum Wissen über arbeitspolitische Beziehungen im Kulturbetrieb vorliegen.

Freitag, 26. April 2024

09:30 Uhr
Entwicklungen der Musiktheater-Vermittlung. Alles beim Alten oder neue Wege seit der Pandemie?
Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Theaterwissenschaft
Leitung: Prof. Dr. Christopher Balme
Mitarbeit: Dr. Sebastian Stauss

Institutionell betrachtet gibt es für Vermittlung im deutschen Musiktheater seit knapp 30 Jahren eigene Abteilungen. Es gibt auch Prozesse der Strukturangleichung und gemeinsame Überzeugungen, die über Netzwerke und Interessenverbände auf nationaler und europäischer Ebene weiter verfolgt werden und in Kooperationen münden (z. B. ASSITEJ, RESEO oder Opera Europa). Anhand dieser Kooperationen lässt sich auch Agilität beim Akquirieren von (zusätzlichen) Fördermitteln feststellen. Verständigung bleibt aber dort wie auch wissenschaftlich weiterhin gefragt, wo zwischen Spartenbetrieb und interdisziplinärer Arbeit auf unterschiedlichen Grundkonzepten von Vermittlung aufgebaut wird: von Kulturvermittlung, über Musik- und Konzertvermittlung bis zu Musik-, Theater- und Tanzpädagogik. Im Panel zum Abschluss des Teilprojektes über Musiktheater-Vermittlung wird ein Überblick zu Organisationsentwicklungen im Staats- und Stadttheater präsentiert. Außerdem werden Umfrage-Ergebnisse zur Arbeitssituation von Vermittler:innen auf Basis einer im Teilprojekt erhobenen Stichprobe von 2022/23 vorgestellt. Dabei wurden auch Positionen zur Vermittlungsarbeit während und kurz nach dem Höhepunkt der Corona-Pandemie thematisiert. Insgesamt ist einerseits
ein erhöhtes Selbstbewusstsein der Vermittler:innen erkennbar, was z. B. die Bereitschaft zur (Selbst-)Evaluation und Zahlen zu neuem Publikum betrifft. Andererseits gibt es immer wieder mahnende Stimmen, nicht zu hohe Erwartungen an die Vermittlung als Tätigkeitsfeld zu stellen. Als Erkenntnis aus dem Teilprojekt wird vor allem angeregt, als wichtige Untersuchungsgrößen Ziele von Vermittlung in den öffentlich getragenen Musiktheatersparten und ihre individuelle Umsetzung mit dem Gesamtspielplan der jeweiligen Organisation abzugleichen.

 

10.45 Uhr
Beharrungs- und Bewegungskräfte: Musiktheater im institutionellen Wandel
Universität Bayreuth, Forschungsinstitut für Musiktheater
Leitung: Prof. Dr. Anno Mungen
Mitarbeit: Dr. Ulrike Hartung

Die Performativität von (Krisen-)Diskursen zeigt sich im Zusammenhang von Kunst und kultureller Praxis kaum so deutlich wie in denen zum Musiktheater. Sie sind wichtiger Bestandteil von Institutionalisierungsarbeit einerseits sowie wesentliche Treiber institutioneller Transformationen andererseits. Im Musiktheater stehen wie in keiner anderen Form darstellender Kunst vielfältige progressive Bewegungskräfte enormen institutionellen Beharrungskräften gegenüber. Die Dichotomie und Polarisierung zwischen öffentlich getragenen Häusern und freien Produktionszusammenhängen wird zum Beispiel in den spezifischen Diskursen im Dienste der Institutionalisierungsarbeit oft herangezogen. Sie bilden nicht nur die Grundlage vielfältiger verfestigter diskursiver Deutungsmuster, sondern sie beschreiben insbesondere auch ein Feld von sich zum Teil widersprechenden Institutionalisierungs- und De-Institutionalisierungsprozessen, die das Musiktheater als spezifische Form der darstellenden Künste – unabhängig vom Produktionszusammenhang – wesentlich prägen. Der Vortrag zeigt anhand des Beispiels dieser und anderer diskursiver Strategien, wie sie von Akteur:innen zur Erreichung ihrer jeweiligen institutionellen Ziele eingesetzt werden, welche Widersprüchlichkeiten sich daraus ergeben und schließlich zu welchen theaterpraktischen Lebenswirklichkeiten sie durch ihre Performativität im Feld Musiktheater führen (können).

 

13.45 Uhr
Angleichung und Abweichung. Institutioneller Wandel in der Regieausbildung
Justus-Liebig-Universität Gießen, Institut für Angewandte Theaterwissenschaft
Leitung: Prof Dr. Gerald Siegmund
Mitarbeit: Benjamin Hoesch, M.A.

Im Feld der deutschsprachigen Regieausbildung sind widersprüchliche Tendenzen des Wandels zu beobachten, die homogenisierend wie heterogenisierend wirken: So ist eine isomorphe Angleichung der Hochschul-Studiengänge aneinander unübersehbar; zugleich beharrt aber jeder Standort auf institutionellen Alleinstellungsmerkmalen. Auch das Verhältnis zum professionellen Theaterbetrieb schwankt zwischen einer vorauseilenden Anpassung an dessen Bedarfe und kritischer Distanz. Durch internationalen Austausch wird Anschluss an ein europäisches Feld der Theaterausbildung gesucht, aber ebenso die eigene Besonderheit und Leistungsfähigkeit bestätigt. Schließlich begegnet das Feld auch Studierenden und Studieninteressierten mit gleichzeitigem Anpassungs- und Abweichungsdruck: Gefragt ist in den Zulassungsprüfungen ein normatives Persönlichkeitsprofil, das sich in einen aktuellen Habitus der Regie einfügt – zugleich werden auf der Suche nach singulären Identitäten Differenz und Diversität forciert. Damit stellt sich auch die Frage, ob sich die Regieausbildung im institutionellen Wandel vollends neoliberalen Imperativen an polyvalente Kreativsubjekte angleicht oder gegenüber diesen eine Eigen- und Widerständigkeit behaupten kann.

Benjamin Hoesch kontrastiert die deutschsprachige Regieausbildung im internationalen Vergleich und präsentiert die Ergebnisse des Teilprojekts aus Umfragen und qualitativen Beobachtungen – u. a. zu Aufnahmepraktiken und Diversitätsentwicklung, Ausbildungsinhalten und institutionellen Spannungsfeldern, Internationalisierung und Corona-Folgen. Daran anschließend fragt Gerald Siegmund, inwiefern künstlerische Ausbildung auch als Forschung an Subjektentwürfen jenseits kreativökonomischer Optimierungsanforderungen zu verstehen ist.

 

14.45 Uhr
Frei & International: Formate – Übersetzung – Krisendiskurse
Leibniz Universität Hannover, Institut für Interdisziplinäre Arbeitswissenschaft
Universität Hildesheim, Institut für Medien, Theater und Populäre Kultur
Leitung: Prof. Dr. Axel Haunschild, Prof. Dr. Jens Roselt
Mitarbeit: Anja Quickert, M.A., Silke zum Eschenhoff, M.A.

Seit der Jahrtausendwende stand die freie Theaterszene im Kontext weltweiter Globalisierungsdynamiken unter dem Paradigma einer zunehmenden Internationalisierung, die sich in länderübergreifenden Kooperationen und Koproduktionen, internationalen Festivals, im Gastspielbetrieb oder international besetzten Projektteams widerspiegelt. Mittlerweile wird dieses kulturpolitisch und ökonomisch forcierte Paradigma jedoch von einem Problembewusstsein dafür begleitet, dass dieser internationale Markt der freien Darstellenden Künste durch ungleiche finanzielle Ressourcen das asymmetrische geopolitische Machtgefälle zwischen Ländern und Kulturen ‚postkolonial‘ fortschreibt. Diese postkolonialen Krisendiskurse stellen förderpolitische sowie kuratorische und künstlerische Entscheidungsprozesse vor neue Herausforderungen, in deren Kern kritische Fragen nach dem Selbstverständnis, den Konsequenzen und der ethischen Verantwortung von künstlerischer und kuratorischer Praxis stehen.

Anhand zweier empirischer Beispiele hat sich das Panel zum Ziel gesetzt, einen Problemaufriss spezifischer Phänomene und Konfliktlagen der Internationalisierung abzubilden und diese zu kontextualisieren. Das Beispiel des internationalen „Festivals Theaterformen“ (Braunschweig/Hannover) rückt die Vielzahl an komplexen Übersetzungen und Transfers auf inhaltlicher, künstlerisch-ästhetischer und arbeitsorganisationaler Ebene in den Fokus. Das ‚Glokalisierungsformat‘ „100% Stadt“ vom deutschen Label Rimini Protokoll, das mittlerweile in 41 Städten weltweit mit lokal ansässigen Produktionsteams und Beteiligten erarbeitet wurde, macht deutlich, wie entscheidend die umfassende Strukturanalyse der Produktionsprozesse internationaler Kunstproduktionen für ihr ästhetisches Verständnis und ihre ethische Bewertung gleichermaßen ist.

 

Untenstehend können Sie das Book of Abstracts als PDF downloaden: 

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