Krisengefüge der Künste
print


Navigationspfad


Inhaltsbereich

Abstracts

Das Book of Abstracts finden Sie auch hier zum Download.

Dienstag, 23. März

Panel I: Genrespezifische Enkulturation und partizipative Projektarbeit im Musiktheater

Mit: Christopher Balme, Katja Meroth, Sebastian Stauss

Das Panel ist auf die Problematik einer im Wandel begriffenen Legitimationsbasis von Musiktheater und Zukunftsperspektiven durch Vermittlung ausgerichtet. Zunächst gehen wir der Frage nach dem Prozess der Enkulturation und ihren möglichen Brüchen nach. Sie werden auf gesellschaftliche Wandlungsprozesse, z.B. hinsichtlich neu definierter Werte und Bildungskonzepte, zurückgeführt, innerhalb derer vor allem unter älteren Generationen übliche kulturelle Praktiken ihre Kontinuität einbüßen und neuer Legitimationsmuster für jüngere bedürfen. Von diesem Konzept ausgehend zeichnet das Panel beide Seiten dieses Hiatus anhand von Beispielen nach: Zum einen werden a) Ergebnisse aus Publikumsbefragungen in München und Meiningen zur Enkulturation innerhalb verschiedener Musiktheatergattungen vorgestellt, um ein differenziertes Bild zu erhalten, in welchem Alter und mit welchen kulturellen bzw. bildungsbezogenen Motivationen Zuschauer*innen auf den Musiktheaterbesuch geprägt worden sind. Zum anderen stellen wir b) die Vermittlungsarbeit innerhalb partizipativer Musiktheater-Formen in München und Stuttgart, gestützt auf Expert*innen-Interviews der Produktionsleitung und Fokusgruppenbefragungen von Mitwirkenden an interkulturellen und intergenerativen Projekten, vor.


9:45 - 9:50 Uhr
Christopher Balme
Einführung in das Panel

9:50 - 10:00 Uhr
Katja Meroth
Enkulturation und Brüche als theoretische Konzepte

10:00 - 10:10 Uhr
Sebastian Stauss
Frage- und Problemstellungen der Vermittlung im Musiktheater

10:10 - 10:20 Uhr
Katja Meroth
Umfragedesign und -ergebnisse

10:20 - 10:30 Uhr
Sebastian Stauss
Ergebnisse aus Interviews mit Vermittelnden und Partizipierenden

10:30 - 11:00 Uhr
Moderation: Christopher Balme
Diskussion

 

Panel II: Transformationsdynamiken (in) der Freien Szene. Produktionsweisen zwischen Institutionenkritik und (Re)Institutionalisierung

Mit: Silke zum Eschenhoff, Axel Haunschild, Anja Quickert, Jens Roselt, Mara Ruth Wesemüller

11:20 - 11:30 Uhr
Axel Haunschild und Jens Roselt
Einführung in das Panel 

11:30 - 11:40 Uhr
Anja Quickert
Die Institution und ihre Kritik

Sucht man in Wikipedia, dem relevantesten Online-Archiv des Internets, nach einer Erklärung für den Begriff ‚Institutionenkritik‘, so erhält man ausschließlich auf Englisch Auskunft: „In art, Institutional Critique is the systematic inquiry into the workings of art institutions, such as galleries and museums, and is most associated with the work of artists like Michael Asher, Marcel Broodthaers, Daniel Buren, Andrea Fraser [...] and Hans Haacke.“ Der mittlerweile vielfältige Diskurs zur Institutionenkritik wurde international im Wesentlichen im Bereich der Bildenden
Kunst geführt: Im globalen Kontext spielt die institutionalisierte Form des Theaters eine nur marginale Rolle. Erst in den letzten Jahren, im Zuge sich verstärkender Krisendiskurse hinsichtlich sozialer, genderoder race-basierter Disparitäten bezüglich der Teilhabe und Gleichstellung sozialer Akteur*innen im Rahmen institutioneller Gefüge, rückt auch die Institution Theater (wieder) in den Fokus. Dass das Freie Theater, das sich nach 1968 infolge der Student*innenproteste in Deutschland gegründet und explizit von den hierarchisch, patriarchal und bürgerlich
geprägten Produktionsweisen der existierenden Institutionen abgegrenzt hatte, in diversen Spielformen und -konzepten an die Traditionslinie bezüglich Bertolt Brechts anknüpfte, ist mittlerweile in Vergessenheit geraten.
Ebenso wurde die Rolle Brechts als erster expliziter Kritiker der Institution Theater niemals systematisch aufgearbeitet. Im Sinne dieser Leerstelle will der Vortrag zur Auseinandersetzung mit Brechts Institutionenkritik
beitragen und am Beispiel des feministischen Kollektivs She She Pop eine zeitgenössische, alternative Organisationsform von Theaterarbeit darstellen.

 

11:40 - 11:50 Uhr
Silke zum Eschenhoff
Ästhetik im Kontext von Arbeitsbedingungen und Förderung

Das Freie Theater erlangte seit seinen Anfängen Legitimation durch Abgrenzung zu den Produktionsweisen der öffentlich getragenen Theater. Dabei unterscheiden sich a) Vergabe und Zugriff auf Ressourcen (wie Räume, Instrumente der finanziellen Zuwendung, Material und Infrastruktur) sowie b) die Art und Weise der Organisation von Arbeits- und Probenprozessen, beispielsweise kollektiv oder demokratisch entwickelte Konzepte, längere Recherche- und Probenphasen und eine stärkere Autor*innenschaft aller Projektbeteiligten. Diese unterschiedlichen Prozesse des Freien Theaters durchlaufen, angeregt durch vielfältige Anreizstrukturen, Professionalisierungsebenen und sind mit den Inhalten, Dramaturgien, ästhetischen Strategien und künstlerischen Ergebnissen des Freien Theaters verknüpft. Die Verknüpfung der ökonomischen Prozesse, der Organisations- und Arbeitsbedingungen mit den Ästhetiken lässt sich in der Frage bündeln, welche künstlerischen, ästhetischen Möglichkeiten im Freien Theater gedacht und konzipiert werden können.
Leitende Fragen für das Vorhaben sind u.a.: Welche Marktbedingungen können Produktionsweisen schaffen, die künstlerische Innovation ermöglichen? Wie lässt sich die Notwendigkeit der ästhetischen Profilbildung mit dem Instrument der Projektförderung vereinen? Und welche künstlerischen Strategien zur regionalen Verortung und bundesweiter Verflechtung machen sich Freie Kollektive zu eigenen?
In der Untersuchung von Ästhetik im Kontext von Arbeitsbedingungen und Förderung haben sich zwei weitere Bezugspunkte herauskristallisiert, die transformierend oder beharrend auf Produktionsweisen wirken können und im Vortrag diskutiert werden: Einerseits ein häufig stark intrinsisch motiviertes Selbstverständnis der Künstler*innen sowie andererseits von den Künstler*innen kreierte und/oder von außen herangetragene Narrative wie Innovations- und Agilitätsversprechen.

 

11:50 - 12:00 Uhr
Mara Ruth Wesemüller
Verschwimmende Grenzen? Kooperationen zwischen Freier Szene und öffentlich getragenen Theatern als Phänomen institutionellen Wandels in den (freien) darstellenden Künsten

Kooperationen zwischen Freier Szene und öffentlich getragenen Theatern sind spätestens seit der Programmlinie Fonds Doppelpass der Kulturstiftung des Bundes ein relevantes Phänomen in den deutschen darstellenden
Künsten. Kritische wie befürwortende Stimmen finden sich, wenn es um die Einordnung dieses – je nach Sichtweise – kulturpolitisch motivierten Mobilisierungsprogramms für öffentlich getragene Theater oder finanziellen Stabilisierungsprogramms für die Freie Szene geht. Auch wenn dieses Programm nachhaltig auf das Kooperationsverhalten freier Theaterschaffender mit öffentlich getragenen Theatern eingewirkt hat, gab und gibt es auch Kooperationen davor und darüber hinaus, z.B. im Festivalkontext oder durch Bundesländer gefördert. Dort, wo Koproduktionen und Kooperationen auch ohne einen übergeordneten Förderzusammenhang eingegangen werden, handelt es sich um die Initiative einzelner Akteur*innen, die jedoch wiederum sehr gut vernetzt und im Feld positioniert sind. Diese kuratorischen Eingriffe haben eine hybride Ästhetik durch institutionelle Verschiebungen zur
Folge. Beispiele gibt es von verschiedenen Standorten: das Produktionsmodell der Münchner Kammerspiele mit der Integration einer überregionalen/internationalen Freien Szene in den Repertoirebetrieb; das Koproduktionsmodell des Theaters Oberhausen mit dem freien Produktionshaus Ringlokschuppen Ruhr; das Residenzmodell des Schauspiels Leipzig mit freien Gruppen oder das BANDEN!-Festival des Staatstheaters Oldenburg. Diese neuen (Ko-)Produktionsmodelle zwischen Freier Szene und institutionell geförderten Theatern, in denen neue Allianzen
zwischen Gruppen und institutionell geförderten Häusern eingegangen werden, zeigen in ihrer Vielfalt Verschiebungen und Transformationsprozesse der Parallelstrukturen darstellender Künste in Deutschland. Der Beitrag wird exemplarisch verschiedene Produktionsmodelle charakterisieren und diese auf die These eines institutionellen Wandels in den (freien) darstellenden Künsten beziehen.

 

12:10 - 12:35 Uhr
Anja Quickert, Silke zum Eschenhoff, Mara Ruth Wesemüller
Parallele Diskussionsrunden zu den Vorträgen
(Teilnahme nur per Zoom möglich)

12:40 - 12:55 Uhr
Axel Haunschild und Jens Roselt
Abschluss


Panel III: Neu-Formatierungen als Symptom des institutionellen Wandels? Transformationsdynamiken im Programm öffentlich getragener Theater

Mit: Clara Godlinski, Bianca Michaels, Lukas Stempel und Ute Godlinski (Office Yoga)

In den Programmen der öffentlich getragenen Theaterhäuser Deutschlands lassen sich in den letzten zwei Dekaden neue bzw. vermehrt auftretende Formen beobachten, welche unter den verschiedensten Bezeichnungen aufgeführt werden, häufig mit einem Fokus auf partizipativen Angeboten. Die Anzahl dieser Veranstaltungsformen ist nicht
nur gestiegen, diese Formen spiegeln Transformationsdynamiken wider und befördern gleichzeitig heterogene Veränderungsprozesse. Daraus ergeben sich unter anderem folgende Fragen: Wie lässt sich die Vielzahl dieser Formen strukturieren? Warum bauen die Theater insbesondere ihre partizipativen Angebote aus?
Das Panel will sich der Beantwortung dieser Fragen aus vier Richtungen nähern: in einem ersten Schritt wird es um einen Überblick gehen, welche Formen neu oder vermehrt auftreten und mit welchen Inhalten bzw. Absichten diese von den Theatern angeboten werden. Danach folgt eine theatertheoretische Einordnung der Begriffe ‚Form‘, ‚Format‘, ‚Programm‘ und ‚Sparte‘. Diese vier Termini und deren Relationsbeziehungen untereinander sind wichtig, um die Diskussion rund um Transformationsprozesse in Theaterprogrammen theoretisch zu reflektieren und zu systematisieren. In einem dritten Schritt sollen Ergebnisse aus 40 Expert*innen-Interviews mit Theaterakteur*innen und Impulsgeber*innen neuer Formen vorgestellt werden. Wie werden neue Formen konkret entwickelt, realisiert und welche organisationalen Folgen hat dies für die Institution Theater? Im abschließenden Teil werden die Ergebnisse der bisherigen Forschungsarbeiten in Beziehung zu grundsätzlicheren Fragestellungen hinsichtlich der Kategorie des Wandels öffentlich getragener Theater in Deutschland gesetzt.


14:00 - 14:05 Uhr
Lukas Stempel
Einführung in das Panel

14:05 - 14:20 Uhr
Lukas Stempel
Neue Formate im Programm der öffentlich getragenen Theater

14:20 - 14:35 Uhr
Clara Godlinski, Bianca Michaels, Lukas Stempel
Gesprächsrunde über Expert*innen-Interviews

14:35 - 14:45 Uhr
Ute Godlinski
Office Yoga

14:45 - 15:00 Uhr
Bianca Michaels
Zum Wandel von Erwartungshaltungen an das Theater

15:00 - 15:20 Uhr
Moderation: Bianca Michaels
Diskussion


Mittwoch, 24. März


Panel IV: Die Stadt im Theater – das Theater in der Stadt. Strategien der Stadt- und Staatstheater im Umgang mit dem Strukturwandel der Kulturnachfrage

Mit: Charlotte Burghardt, Birgit Mandel, Maria Nesemann und Video-Statements von Christoph Dittrich und Barbara Mundel

Anhand einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung, einer Diskursanalyse der Theater-Fachöffentlichkeit, einer Befragung der Intendant*innen der deutschen Stadt- und Staatstheater sowie Fallstudien an drei Theatern untersuchte das Teilprojekt, welche Legitimitätsrisiken für die Theater mit dem Strukturwandel der Kulturnachfrage verbunden sind und mit welchen Publikumsstrategien sie darauf reagieren.
Die Gesellschaft in Deutschland steht unverkennbar unter dem Einfluss eines demografischen und digitalen Wandels und damit einhergehend einer Heterogenisierung der Kultur- und Freizeitinteressen. Dabei scheint die einstige Vormachtstellung der öffentlich getragenen Theater in der deutschen Kulturlandschaft zunehmend hinterfragt zu werden. Inwieweit nehmen die Theaterhäuser die bestehenden gesellschaftlichen Veränderungen als Risiko und ‚Krise‘ wahr? Welche Anspruchsgruppen haben dabei auf die Theater Einfluss und mit welchen Strategien reagieren die Theater auf die veränderte Kulturnachfrage und die immer diverser werdende Gesellschaft? Wie kommt also die Stadt ins Theater und wie das Theater in die Stadt?
Antworten auf diese Fragen aus der Perspektive der Theaterschaffenden gibt eine Befragung der Intendant*innen der öffentlich getragenen Theater in Deutschland. Diese zeigt nicht nur eine hohe Veränderungsdynamik der einzelnen Häuser, sondern auch die aktuellen Herausforderungen im Umgang mit den unterschiedlichen Stakeholdern, insbesondere einer zuverlässigen Finanzierung durch die Kulturpolitik. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Theater weiterhin eine hohe Wertschätzung für ihr Haus in der Stadtgesellschaft wahrnehmen und sich selbst als einen zentralen gesellschaftlichen Diskursort verstehen.
Einen vertiefenden Blick auf die tatsächliche Umsetzung von konkreten Strategien, um neues und diverses Publikum zu erreichen und sich für verschiedene Stadtöffentlichkeiten zu öffnen, bieten drei Fallbeispiele. Die untersuchten Theater (Maxim Gorki Theater Berlin, Theater für Niedersachsen und Städtische Theater Chemnitz) sind in Rechtsform, Standort und Ausrichtung sehr verschieden. Was sie verbindet, ist der Anspruch, ‚die Stadt zu meinen‘, die Strategien der Publikumsentwicklung hingegen differieren. Das Maxim Gorki Theater spiegelt die Diversität der postmigrantischen Stadtgesellschaft in Personal, Programm und Publikum wider. Das Theater für Niedersachsen und das Theater Chemnitz richten sich mit einem niedrigschwelligen und zugleich vielfältigen Programm an ihr Publikum in der Stadt und auf dem Land und versuchen, den unterschiedlichen Publikumsgruppen gerecht zu werden.
Insgesamt zeigt sich, dass Veränderungen kultureller Interessen und Ansprüche an Kulturangebote vor allem bei jüngeren Generationen mittelfristig zu Risiken für die Legitimität der Stadt- und Staatstheater führen. Aktuell scheint der Rückhalt in der Bevölkerung, die mehrheitlich nicht zum Theaterpublikum gehört, nicht gefährdet. Obwohl die Theater weder Veränderungsdruck aus Publikum und Bevölkerung und selten konkrete Vorgaben von Seiten kulturpolitischer Zuwendungsgeber wahrnehmen, ergreifen sie vielfältige Maßnahmen, vor allem im Bereich kultureller Bildung und entwickeln neue Formate, mit denen sie ihre gesellschaftliche Relevanz unter Beweis stellen. Dennoch wird deutlich, dass die meisten Theater grundsätzlich an ihren tradierten Programm- und Organisationsstrukturen festhalten.

Nach der Präsentation der Ergebnisse der Intendant*innenbefragung sowie der Fallstudien zu den Audience Development Strategien wird ein Gesamtfazit gezogen, das von Expert*innen aus der Praxis im Rahmen einer Video-Einspielung kommentiert wird.

 

9:35 - 9:40 Uhr
Birgit Mandel
Einführung in das Panel

9:40 - 9:55 Uhr
Charlotte Burghardt
Bewegt sich was? Die Perspektive von Intendant*innen auf Handlungsoptionen und Herausforderungen im Umgang mit einer veränderten Kulturnachfrage

9:55 Uhr - 10:10 Uhr
Maria Nesemann
Audience Development als legitimierendes Add On oder institutioneller Veränderungsprozess? Strategien zur Gewinnung neuen und diverseren Publikums am Maxim Gorki Theater, dem Theater für Niedersachsen und den Städtischen Theatern Chemnitz

10:10 - 10:25 Uhr
Birgit Mandel
Legitimitätsrisiken und Strategien zur Legitimitätssicherung im Strukturwandel der Kulturnachfrage. Gesamtfazit des Forschungsprojekts

10:25 - 10:35 Uhr
Christoph Dittrich und Barbara Mundel
Video-Statements von Expert*innen aus der Praxis

10:35 - 11:05 Uhr
Moderation: Birgit Mandel
Diskussion


Panel V: Kunstautonomie? Strukturkrise aus ästhetischer Sicht

Mit: Ulrike Hartung, Benjamin Hoesch, Anno Mungen, Gerald Siegmund


11:20 - 11:25 Uhr
Anno Mungen
Einführung in das Panel

Die Erforschung von Theater als Organisation und Institution sieht tendenziell davon ab, dass dessen ‚Produkte‘ ästhetisch verfasst sind. Dem Ästhetischen wird jedoch seit dem 18. Jahrhundert mit der Autonomie der Kunst zugetraut, die materiellen und sozialen Bedingungen seiner Herstellung zu überschreiten und die Erfahrung von Freiheit zu ermöglichen. Das Panel versucht, diesen Blick auf das Theater im Sinne eines Re-Entry des Ästhetischen wieder in die Diskussion einzubringen. Ästhetischen Dynamiken ist ein Hang zum Krisenhaften immer schon eingeschrieben, zugleich ist das Ästhetische der Modus, der noch jede Krise produktiv wenden kann. Die Beiträge untersuchen dieses Verhältnis anhand ästhetischer Theorie und der ästhetischen Analyse von Aufführungsbeispielen. Dabei zeigt sich zwischen dem Autonomieversprechen des Theaters und seiner sozialen Einbettung eine notwendige Spannung, die auch die wissenschaftliche Untersuchung nicht in eine Richtung – institutionelle Abhängigkeit oder Autonomie der Kunst von allem Sozialen – auflösen kann.

 

11:25 - 11:40 Uhr
Gerald Siegmund
Die Praxis des Theaters denken: Zum Darstellungsproblem des Theaters

Der Vortrag unternimmt den Versuch, die als krisenhaft empfundenen Veränderungen der Theaterlandschaft aus ästhetischer Sicht zu beschreiben. Er kehrt damit die Blickrichtung auf veränderte Formen und Formate um, indem er diese zunächst aus der Praxis des Theaters selbst heraus zu verstehen sucht. Veränderungen ergeben sich aus der Dynamik des Ästhetischen selbst, das die einmal gefundenen Formen mit jedem erarbeiteten Stück ins Spiel bringt und dadurch aufs Spiel setzt, wodurch sie verhandelt und infrage gestellt werden. Für das Theater bedeutet das über die Freisetzung seiner Mittel hinaus vor allem, sich an seine zweifache Verfasstheit zu erinnern. Denn das Theater ist nie ausschließlich ein ästhetisches Ereignis, sondern stets auch ein soziales, zu dem Menschen zusammenkommen. Was geschieht nun, wenn sich das Theater in seiner doppelten Ausrichtung als ästhetisches
Kunstprodukt und soziales Ereignis selbst denkt? Nimmt das Theater seine Praxis und Möglichkeitsbedingung des realen Zusammenkommens und Handelns ernst, führt dies, so die These des Vortrags, auch zu einer Veränderung der Theaterpraxis, die wiederum Auswirkungen auf Arbeitsprozesse und institutionelle Veränderungen mit sich bringt. In dieser Logik setzt sich das Ästhetische letztlich selbst aus. Der Vortrag steht einer traditionelleren, an der Ästhetik ausgerichteten Methodik des Fachs Theaterwissenschaft näher mit dem Ziel, diese in die Diskussion zu Krisenphänomenen einzubeziehen.

 

11:40 - 11:55 Uhr
Benjamin Hoesch
Ästhetik der Selbstbehauptung. Künstlerische Reflexionen des Anerkennungskampfes im Nachwuchs

Die seit den 1990er Jahren gestiegene Aufmerksamkeit für den künstlerischen Nachwuchs hat jungen Künstler*innen zwar Gelegenheiten zur künstlerischen Artikulation etwa in zahlreichen Nachwuchsfestivals verschafft; die Prekarität des Berufsstatus von Nachwuchskünstler*innen mit massiver Konkurrenz und unsicheren Professionalisierungsaussichten haben diese kurzfristig-seriellen Formate jedoch nicht entschärft. In der Folge werden die öffentlichen Plattformen immer häufiger nicht zu klassisch-dramatischer Inszenierungsarbeit genutzt, sondern zur künstlerischen Auseinandersetzung mit dem eigenen Wettbewerbs- und Leistungsdruck nach einem zeitgenössischen performance principle. Dabei kristallisiert sich in unterschiedlichen Stilen etwas heraus, das eine Ästhetik der Selbstbehauptung genannt werden kann: Solo-Performer*innen wie auch Ensembles machen ihre eigene performative Wirkung und Leistung in der Aufführung ebenso explizit zum Thema wie ihre krisenhafte
Situation als Nachwuchskünstler*innen und suchen nach Souveränität über Versagensängste, Überforderung und Erwartungsdruck. Die gesichteten Aufführungen, die klar dieser selbstreflexiven Tendenz zuzuordnen sind, bedienen sich dazu unterschiedlicher Strategien der formalen Selbstbeschränkung oder sozialen Öffnung, der Ironisierung
oder Fiktionalisierung, womit sie in den Festivalprogrammen sowohl beim Publikum als auch bei den Preisentscheidungen äußerst erfolgreich sind. Der Vortrag will an einzelnen Beispielen diese ästhetische Reflexion institutioneller Transformationsdynamiken nachzeichnen. Hinterfragt wird dabei auch, ob diese Ästhetik kritisches Potential – auch gegen das Format des Nachwuchsfestivals selbst – entfaltet, oder ob die genannten Strategien vielmehr das eigene Prekariat künstlerisch kapitalisieren, um sich letztlich den Erwartungen des Nachwuchsmarkts zu unterwerfen.

 

11:55 - 12:10 Uhr
Ulrike Hartung
Social Responsibility statt L’art pour l’art? Musiktheater zwischen Kunstfreiheit und Bildungsauftrag

Das Krisengefüge, mit dem sich öffentlich getragene Musiktheaterbetriebe im deutschsprachigen Raum konfrontiert sehen, ist so vielfältig wie komplex. Das Spannungsfeld von institutioneller Legitimation und künstlerischer Autonomie ist nur eines, wenn auch ein zentrales, von dem dieses Gefüge wesentlich geprägt ist. Als personell und finanziell aufwendigste Gattung ist das Legitimationsproblem des Musiktheaters größer als das anderer Formen öffentlich finanzierter darstellender Kunst. Umso größer ist in diesem Sinne auch die Rolle des kulturpolitischen
Auftrags, zum Beispiel zur kulturellen Bildung. Die sich daraus ergebende Reibung zwischen freier ästhetischer Formfindung und notwendig erscheinender ethischer Haltung bestimmt somit ebenfalls das künstlerische Produkt (als auch seinen oftmals wenig beachteten Produktionsprozess). Das Musiktheater sieht sich somit im Kontext seiner
Legitimationsproblematik und einer gleichzeitigen Konjunktur diskursiver Formate in den darstellenden Künsten im Allgemeinen gezwungen, seinen Status als vermeintlich rein ästhetisches Ereignis zugunsten einer stärkeren gesellschaftlichen Anbindung aufzugeben. Am Beispiel zweier Musiktheaterbetriebe und ihrer Produktionen möchte der Vortrag unterschiedlichen Manifestationen dieses Spannungsfelds nachgehen sowie Strategien der ästhetischen Reflexion dieser Entwicklung herausarbeiten.

 

12:10 - 12:45 Uhr
Moderation: Anno Mungen
Diskussion


Panel VI: Sein oder Nicht-Sein: Kulturpolitik und deutsche Stadttheater

Mit: Lara Althoff, Hilko Eilts, Jonas Marggraf, Bianca Michaels, Eckhard PrillerAnnette Zimmer

In den vergangenen Dekaden hat sich im Kulturbereich viel getan. Mit der Wiedervereinigung entstand ein neuer Kulturraum, dessen Gestaltung die Kulturinstitutionen, Kulturpolitik und -verwaltung auch angesichts der Krise der öffentlichen Haushalte vor große Herausforderungen stellte. In jüngster Zeit hat Kultur als Anker von Identität und Arena reflexiver Auseinandersetzungen mit den Verwerfungen der Moderne an Bedeutung gewonnen. Gleichzeitig ist ein tiefgreifender Umbau der Kulturverwaltungen, der Steuerung und der Finanzierungsmodalitäten kultureller Einrichtungen erfolgt. All dies hatte beachtliche Auswirkungen auf die Institution Theater und insbesondere auf die öffentlich getragenen Theater in Deutschland. Diese haben sich bemüht, den vielfältigen Anforderungen zu entsprechen und sich den veränderten Kontextbedingungen anzupassen, und zwar sowohl in ihren administrativen
Strukturen als auch in ihrem jeweiligen Profil. 
Ziel des Panels ist es, diese Entwicklung anhand der Ergebnisse der Untersuchung von sechs ausgewählten Stadttheatern nachzuzeichnen und kritisch zu hinterfragen. Hat sich in der Tat etwas grundlegend verändert? Welche Rolle kommt der Kulturpolitik der Bundesländer und welche den Kommunen als Träger der Stadttheater zu? Haben wir es heute mit ganz anderen Institutionen zu tun? Oder handelt es sich nur um „des Kaisers neue Kleider“? Danach entsprechen die Theater bei PR und Marketing den Vorgaben kommerzieller Beratungsfirmen, aber gleichzeitig sind sie sich bewusst: Es kommt vor allem darauf an, die Politik auf ihre Seite zu bekommen. Und wer entscheidet über „Sein oder Nicht-Sein“, die Größe, Ausstattung und den Spartenmix der Stadttheater? Spielt der ‚Markt‘ als Steuerungsmechanismus überhaupt eine Rolle? Diesen Fragestellungen wird im Rahmen des Panels Sein oder Nicht-Sein: Zur Situation deutscher Stadttheater nachgegangen. In zwei Vorträgen werden die Ergebnisse der Fallstudien des Teilprojektes 7 zur Diskussion gestellt.
Untersucht wurden die Kontextbedingungen bzw. die kulturpolitische Governance (Landes- und kommunale Ebene) von sechs Stadttheatern in West- (NRW) und Ostdeutschland, die Corporate Governance, die Leitungs- und Führungsstrukturen der Theater, ihre (gewachsenen) Profile sowie die Einschätzung der Beschäftigten (künstlerisches und nicht-künstlerisches Personal) hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung des jeweiligen Theaters und seiner Funktion für die Stadt.

 

13:45 - 13:55 Uhr
Annette Zimmer
Einführung in das Panel

13:55 - 14:15 Uhr
Jonas Marggraf
Die Theaterpolitik der Bundesländer

Das Grundgesetz regelt: Kulturpolitik ist grundsätzlich Sache der Länder. Doch über diesen häufig zitierten Satz hinaus hat sich die Forschung bisher kaum – und noch weniger im Fall der öffentlichen Theater – mit den 16 verschiedenen Kulturpolitiken der Länder auseinandergesetzt. Der Vortrag thematisiert die Theaterpolitik der im Projekt Beruf als Passion untersuchten Bundesländer (NRW, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern) und ordnet diese in einen gesamtdeutschen Zusammenhang ein. Grundlage dafür sind die Auswertung von Interviews, die in den zuständigen Ministerien der Länder geführt wurden, sowie offizielle Dokumente und Gesetzestexte.


14:15 - 14:35 Uhr
Lara Althoff und Jonas Marggraf
Lokale Cultural Governance im Kontext deutscher Stadttheater

Der zweite Beitrag des Panels stellt die Ergebnisse der empirischen Untersuchung der Einbettung und politischen Steuerung der im Rahmen des Teilprojektes näher betrachteten Stadttheater vor. Dabei wird der Fokus vor allem auf die historischen, strukturellen und politischen Rahmenbedingungen gelegt, welche direkt oder indirekt auf die sechs
untersuchten Stadttheater einwirken. Es werden Faktoren bzw. zentrale Parameter identifiziert, die den organisatorischen und künstlerischen Handlungsspielraum deutscher Stadttheater prägen. Für die Analyse
werden Strukturdaten der Kommunen, z.B. Bevölkerungsentwicklung, Arbeitslosenquoten, interne Dokumente und Unterlagen, wie etwa schriftliche Vereinbarungen (Kontraktmanagement) zwischen Theatern und Kommunen, sowie insbesondere die Ergebnisse der mit Repräsentant*innen von Politik, Verwaltung, Medien und Fördereinrichtungen
geführten Interviews herangezogen.


14:35 - 14:55 Uhr
Mit: Lara Althoff und Jonas Marggraf
Discussants: Hilko Eilts und Bianca Michaels
Moderation: Annette Zimmer
Fragerunde

14:55 - 15:15 Uhr
Moderation: Eckhard Priller und Annette Zimmer
Plenumsdiskussion


Perspektivwechsel: Blicke von außen

Mit: Christopher Balme, Marc Grandmontagne, Denis Hänzi, Matthias Warstat

Downloads


Servicebereich